Training allein zu zweit, Teil 1.

Wer die Richtung wechselt, tut gut daran, vorher ein klein bisschen abzubremsen.
Das sehe ich ein. Ganz langsam.
Sie sagt:
»Also ich würde Ihnen empfehlen, das Laufen erst mal sein zu lassen.«
Ich verstehe: 
»Danke. Sie können jetzt aufhören, zu atmen.«
»Wie lange?«, frag ich still um Fassung ringend.
»Vier Monate.«
Irgendwas scheint in meinem Gesicht zu passieren. Irgendwas hab ich da nicht mehr unter Kontrolle, denn die Ärztin fügt schnell hinzu:
»Sie können ja Fahrrad fahren.«
Jetzt muss ich an meinen Vater denken, der immer behauptet, ich sähe aus wie ein Tiger, wenn ich besonders wütend bin.
»Oh, the tiger is coming! Careful.«, sagt er dann. Ich verwandle mich soeben in den Tiger, will über den Schreibtisch springen und der Frau dahinter an die Gurgel gehen, ihr die lieblichen Löckchen abschneiden und sie anschreien. Stattdessen steh ich auf. Wortlos. Dreh mich um und aus meinem Mund kommt trotzig wie ein kleines Kind: »Fahrrad fahren! Das ist ja nicht dasselbe!« Aber ach, wem sag ich das? Jemandem, der von Laufliebe keine Ahnung hat. Als ich gehe, weiß ich ziemlich genau, dass ich das nicht schaffen werde.

Zwei Wochen später bin ich wieder da und mein eigentlicher Arzt, frisch aus dem Urlaub zurück, sagt: 
»Alles in Ordnung. Und Sie dürfen laufen. Und Krafttraining machen. ABER NICHT ÜBERTREIBEN!«
Zum ersten Mal seit Tagen kann ich wieder lachen. Ich möchte dem Mann um den Hals fallen, ihn mit Geschenken überhäufen, mit ihm tanzen und ihm in die Seite knuffen. Ich freu mich. Aufs Laufen. Und auf alles, was da kommt.

Es kostet mich wirklich Überwindung, aber in Gedanken streiche ich mein Intervalltraining. Die Sprints. Die Treppenläufe. Ich verabschiede mich von den Burpees, von allem, was mit Springen und viel Puls zu tun hat. Am nächsten Morgen fühle ich mich dann überhaupt nicht wie ich, sondern wie 100. Ich scheitere kläglich an meinen Übungen. Schaff mein Standardpensum an Liegestützen nicht mehr. Ich kämpfe mit den Klimmzügen. Beim Bankdrücken wankt die Hantelstange unsicher über meiner Brust. Ich bin sprachlos. Ich möchte Pausen beim Treppengehen einlegen, was ich nicht mache, weil ich mich fast ein bisschen schäme. Ein Lauf mit einer lieben Ex-Kollegin wird zur Tortur für mich. Zwar kann ich laufen, nicht aber gleichzeitig sprechen. Beim Frühsport mit den Werberkollegen bin ich die Erste, die völlig fertig ist. Und das von meinem eigenen Warm-up. Ich will die Übungen erklären, aber mir geht die Puste aus. Ich kämpfe und halte an meiner Sportlerdisziplin fest, obwohl es mir noch nie so schwer gefallen ist. Im Studio fordert mich ein Kollege zum Einarmige-Liegestütz-Battle heraus – ich winke traurig ab. Heimlich versuch ich’s dann zu Hause und lache über mich, weil ich mich so hoffnungslos überschätzt habe.

Es muss also sein: Ich setze mir ein wahnsinnig niedriges Pulslimit und laufe nur noch mit Herzfrequenzmesser. Ich lasse mich von allen Läufern Hamburgs überholen und tröste mich damit, wenn ich Fehler im Laufstil der Vorbeiziehenden finde. Genug Zeit hab ich ja jetzt, sie von hinten zu analysieren … Derweil merke ich ganz langsam, wie sich mein eigener, jahrelang einstudierter Laufstil verändert, die Schrittlänge kürzer wird, meine Füße unsteter landen, meine Gelenke stärker belastet werden … Und ich ahne: Ja, ich werde mir bald ein Alternativtraining suchen müssen. Rudern, vielleicht. Oder dann doch: Fahrrad fahren …
Und immer is irgendwas: ein Hexenschuss. Dann schmerzt eine Sehne meines Fußes nach ein paar Kilometern, dann eine in der Leiste, mein Hintern … 
»Dass Du aber auch immer so viel …«, es hagelt Vorwürfe von meiner besorgten Mutter.
»Du kannst doch nicht den schweren Koffer allein …« – und von meiner Freundin Saskia. Keiner versteht, dass ich so schnell gar nicht umdenken, nicht runterfahren kann und auch nicht will. Nun, doch. Einer versteht es. Und das ist einer der Gründe, weshalb ich mit ihm jetzt eine Familie gründen werde.

Als ich im Studio Kniebeuge mit der Langhantel mache – bei deutlich reduziertem Gewicht – hat das ungeahnte Folgen. Am nächsten Morgen wache ich mit einem dramatisch angeschwollenen, schmerzenden Knie auf und langsam fang ich an zu kapieren: Mein Körper macht die krasseste Veränderung ever durch, er ist nicht mehr derselbe. Ihn jetzt neu kennen zu lernen, üb ich noch. Ich bin also mitten im Training – wie immer. Nur ein anderes als sonst: ein Training allein zu zweit. Und wie großartig ist das bitte, ständig einen ganz besonderen Trainingspartner mit dabei zu haben? Ich hoffe, er hat Geduld und ist nachsichtig mit mir – und Ihr hoffentlich auch. Ich werde es doppelt zurückzahlen und kann's kaum erwarten, das zu tun.

Und hier lest Ihr übrigens wie's weitergeht: »Training allein zu zweit, Teil 2.«

Kommentare

An-Kas hat gesagt…
Liebe Diana,
das ist ein sooooo toller Bericht! :))
Und genau das hat mir gefehlt im Moment - jemand, der ähnliches erlebt
wie ich im Moment! (Wobei ich nicht GANZ so der Sport-Freak bin wie
du! ;))
Mein Mann bemerkt auch immer schon, dass ich schon bei kleineren
Anstiegen beim Spazieren total schnaufe. Das kannte ich bisher gar
nicht!
Ich habe auch Schwierigkeiten, beim Walken noch locker mit meiner
Freundin zu quatschen. Und ich dachte, nur bei mir wäre das so! :D

Ich werde ab Montag nach der "Schonfrist" die Fitness-CD ausprobieren
und werde berichten!
Lieber Gruß...
Anke
KÖRPERGOLD hat gesagt…
Liebe Anke,
danke ;)
Irgendwie scheint auch das dazuzugehören: dass man zuweilen das Gefühl hat, irgendwie alleine zu sein mit diesen merkwürdigen Vorgängen in einem drin.
Übrigens Schnaufe ich beim Sport neuerdings wie eine Verrückte (selbst bei niedriger Herzfrequenz). Du müsstest es eigentlich hören können, so laut ist das …

Aber beruhigend schönes Fazit unseres heutigen Austauschs: Wir sind nicht allein – wunderbar, oder? Ich freu mich sehr auf Neuigkeiten von Dir :)

Schöne Grüße zurück
Diana

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