Zusammen stark.


Neulich unterhielt ich mich mit einem älteren Herrn im Fitnessstudio. Wir führten klassischen Small-Talk und ich fand ihn sehr unterhaltsam. Dann sagte er plötzlich: »Und wenn Ihnen irgendwann das Geld für Essen ausgehen sollte, können Sie immer gerne mich fragen.« – Kurz war ich verwirrt: Ich hatte ihm während des Plauderns keinerlei Gründe dafür geliefert, dass ich Gefahr liefe, in naher Zukunft Hunger leiden zu müssen. Ich tippte auf meine Hautfarbe. Eine Vermutung. Ob sie stimmt, weiß ich natürlich nicht. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass mich wer aufgrund meines Teints in eine Schublade steckt. Ja, wir alle sind Opfer irgendwelcher Klischees. Ständig. Schubladendenken ist uns angeboren und eigentlich nicht weiter dramatisch. Schließlich hilft es dabei, unsere komplexe Umwelt einfacher zu machen. Oder, um es wissenschaftlich auszudrücken: Schubladendenken ist das »Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata« eines Menschen, in dem sämtliche inkorporierten, früheren sozialen Erfahrungen zum Ausdruck kommen (1,2). Und das Ganze ist geprägt vom gesellschaftlichen Rahmen in dem wir uns bewegen – es ist nicht so leicht aus diesem Rahmen auszubrechen. Aber es ist möglich.

Bei all der Verdrossenheit die sich nach dem Wahlsonntag breitmacht, finde ich es wichtiger denn je, Vorbild zu sein. Zu zeigen, dass es geht, dass es sich lohnt, sich mit dem vermeintlichen Anderssein zu verbünden, offen zu sein für das, was wir (noch) nicht kennen und damit Open-Mindedness zu leben. Das geht nur, wenn wir uns unseres Schubladendenkens bewusst werden, damit wir uns später erfolgreich davon distanzieren können. Gegen unser Schubladendenken hilft nur eins: Das, was wir nicht kennen und womöglich seltsam finden, kennen zu lernen. Seit einem Jahr gebe ich einen Integrationssportkurs – nicht nur, weil ich Vorbild sein will und gesellschaftliche Vielfalt bereichernd finde, sondern auch, weil ich gegen mein eigenes, stereotypes Denken vorgehen will.

Gelernt habe ich, dass wenn wir irgendwo eine starke Gemeinschaft erleben, unabhängig von Religion, Hautfarbe oder sonstigem vermeintlichen Anderssein, dann ja wohl im Sport (zumindest meistens). Es ist egal, welche Sprache jemand spricht, wir machen alle die gleichen Übungen, absolvieren den gleichen Lauf, gehen gemeinsam an Grenzen, kommen uns dabei näher und stellen am Ende fest, dass wir gar nicht so verschieden sind. Am nächsten Tag haben wir fast alle Muskelkater ;)

Lasst uns also offen bleiben, denn nur so kommen wir weiter, alles andere wäre Stillstand und Rückschritt. Und welcher (sportbegeisterte) kluge Mensch könnte das schon wollen? 

Inspirationsquellen:
Pierre Bourdieus Konzeption des Habitus (Alexander Lenger, Christian Schneickert und Florian Schumacher) 

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